Montag, 11. Juli 2011

Lebenslang für zweiten Niedersachsen wegen Massakern der Wehrmacht in Italien

Osnabrück/Verona. Wenige Tage nach dem Urteil im Kriegsverbrecher-Prozess um Massaker 1944 in Norditalien werden immer neue Details bekannt. Neben dem 93-jährigen Osnabrücker ist auch ein 86-Jähriger aus dem Landkreis Stade in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Ihm kam die Polizei mit Telefonüberwachung auf die Spur.

Während der Osnabrücker seine Unschuld beteuert, hat der Ex-Soldat aus dem Kreis Stade nach Informationen unserer Zeitung in einem von der Polizei abgehörten Telefonat seine Schuld eingeräumt. Damit wurde im letzten großen Kriegsverbrecherprozess gegen zwei Niedersachsen die Höchststrafe ausgesprochen.

Mit dem Urteil im norditalienischen Verona scheinen sich jetzt die Akten um die Verbrechen deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg zu schließen. Die Täter sind hochbetagt oder längst verstorben, die Taten liegen rund sieben Jahrzehnte zurück. Die Morde der Wehrmacht erscheinen wie Geschichten aus einer anderen Zeit. Doch dieser Eindruck täuscht. Zumindest die Massaker der Panzer-Fallschirm-Division „Hermann Göring“ werden die Gerichte voraussichtlich noch Jahre beschäftigten.
Robert Seidler, Anwalt des 93-jährigen Osnabrücker Ex-Leutnants, rechnet damit, dass sich das Berufungsverfahren bis Ende nächsten Jahres hinziehen wird. Er werde alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, den Schuldspruch gegen seinen Mandanten anzufechten. Denn der 93-Jährige sei unschuldig, so Seidler. In fünf von sieben Anklagepunkten sei der Osnabrücker freigesprochen worden. Und selbst die Verurteilung auf Grundlage der anderen beiden Punkte beruhe auf der falschen Annahme, dass der Osnabrücker gewusst habe, dass Soldaten aus seiner Kompanie zu den Tötungseinsätzen abkommandiert worden seien. „Das war nicht so“, betont Seidler.
Der 93-Jährige sei damals zum Zeitpunkt der Lagebesprechung für die Einsätze im März 1944 mit seinem Zug rund 140 Kilometer vom Ort der Besprechung entfernt gewesen. Dass in der Folge Vorgesetzte ohne sein Wissen Soldaten zu Einsätzen abkommandiert hätten, in deren Folge Hunderte Zivilisten zu Tode gekommen seien, habe er während des ganzen Krieges nicht erfahren.

Und deshalb werde er weiter für einen Freispruch streiten. „Dem alten Herrn liegt sehr viel daran, dass sein Name komplett reingewaschen wird.“

Ganz anders ist der Fall offensichtlich bei einem 86-jährigen Gefreiten aus dem Landkreis Stade gelagert. Bei ihm waren die Beweise erdrückender: Nach Informationen unserer Zeitung gehörte der Ex-Gefreite zu rund einem halben Dutzend Soldaten der Division, deren Telefonate erst vor Kurzem im Vorfeld des Prozesses von der Staatsanwaltschaft Dortmund abgehört wurden. Bei einem dieser Gespräche hat er offensichtlich einem alten Kameraden einen deutlichen Hinweis darauf gegeben, dass er selbst zu jenen Soldaten gehörte, die in den Bergdörfern Norditaliens Frauen, Kinder und alte Menschen erschossen hatten.

Jahrelanges Verfahren

Eine Auslieferung an Italien müssen die beiden Niedersachsen aber erst fürchten, wenn die Urteile rechtskräftig werden – und das kann Jahre dauern. Für die hochbetagten Männer ist das möglicherweise zu lange.

Ein Grund für diesen jahrelangen und so akribisch geführten Prozess könnte auch Geld sein. Opferverbände, Angehörige und Kommunen fordern für die rund 400 ermordeten Zivilisten eine finanzielle Entschädigung. Nach Dokumenten, die unserer Zeitung vorliegen, bewegen sich die Summen zwischen 10000 und 300000 Euro pro Opfer. Unterm Strich beläuft sich die Summe damit auf deutlich mehr als 50 Millionen Euro. Zahlen soll das Geld die Bundesrepublik Deutschland.

Diese Forderungen könnten sich aber nach fast zwei Jahren Prozessdauer schon bald in Nichts auflösen. Denn erst vergangene Woche hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem ähnlichen Verfahren entschieden, dass Deutschland keine Entschädigung zahlen muss. Für die Opfer und deren Angehörige bliebe damit die bittere Einsicht, dass die Verbrechen zwar begangen wurden – aber nie gesühnt werden.

Artikel aus der Neuen Osnabrücker Zeitung: